Die P43 ist eine Leitung der Großen Koalition

Die P43 ist eine Leitung der Großen Koalition. Mit einem rechtzeitigen, dynamischen Ausbau Erneuerbarer Energieanlagen im Süden Deutschlands, gerade auch in unserem Landkreis, hätte man sie vermutlich verhindern können. Ein solcher Ausbau ist aber von genau dieser Koalition und von der CSU-geführten Staatsregierung in Bayern in den letzten eineinhalb Jahrzehnten systematisch verhindert worden. Die von CDU und CSU angeführte Bundesregierung hat nach 2005 den Ausbau der Onshore-Windenergie unattraktiv gemacht. Die Bayerische Staatsregierung hat ihn dann mit der 10-H-Regelung völlig abgewürgt.

Diese verlorenen Jahre können wir nicht mehr aufholen. Wir brauchen die Energiewende so schnell wie möglich, denn die Folgen einer ungebremsten Klimaerhitzung wären auch in unserer Region viel schlimmer als die ohne Zweifel vorhandene Beeinträchtigung durch die Leitung. Wir können es nicht hinnehmen, dass Windstrom in großen Mengen nicht nach Süden geleitet werden kann und stattdessen Gaskraftwerke den Klimawandel weiter beschleunigen.  Die Folge wären: Noch mehr Trockenheit, noch mehr Starkregenereignisse, noch mehr Waldschäden. Ich wollte diese Leitung nie, sondern eine dezentrale Energiewende. Aber ich kann mich auch beim Atommüll nicht hinstellen und sagen: „Ich war immer gegen Atomkraftwerke, das geht mich nichts an, sollen die die Suppe auslöffeln, die immer für die Atomenergie waren.“ Wir müssen die Situation so gut wie möglich bewältigen, wie sie jetzt ist.

Die Grüne Bundestagfraktion hat dem Bundesbedarfsplangesetz einschließlich der P43 im Deutschen Bundestag deshalb zugestimmt. Ich trage diese Entscheidung auch persönlich mit, gerade weil sie von Verantwortung für die Zukunft des Landkreises Bad Kissingen getragen ist. Ich halte nichts davon, sich da wegzuducken und in Bad Kissingen etwas anderes zu erzählen als in Berlin. Alle Bürgerinitiativen und Gemeinden, die mich wegen der P43 angeschrieben haben, ebenso wie die Zuhörer der Wahldiskussion in Bad Brückenau im Sommer, haben diese klare Antwort von mir vor der Bundestagswahl erhalten.

Ich habe in den Jahren vor der Entscheidung über den Bundesbedarfsplan intensiv nach anderen Lösungen gesucht, die den Anforderungen an die Netzstabilität Rechnung tragen, insbesondere auch deshalb, weil ich die Gemeinde Bergrheinfeld für hochbelastet halte. Dort wird tatsächlich ein Sonderopfer erbracht. Ich musste mich aber davon überzeugen lassen, dass eine solche Möglichkeit von den Fachleuten nicht gesehen wird.

Die These, dass unsere Region auf den Strom aus der Leitung gar nicht angewiesen sei, sondern nur andere Regionen davon profitieren, halte ich für falsch. Wir decken nicht einmal unseren eigenen aktuellen Strombedarf vor Ort. Bayern insgesamt und auch unser Landkreis ist schon heute auf Stromimporte angewiesen mit deutlich steigender Tendenz. Schon heute ist es zu kurz gegriffen, sich den Strombedarf in der Industrie in Schweinfurt oder im Rhein-Main-Gebiet nicht zurechnen zu wollen. Auch viele Bewohnerinnen und Bewohner unseres Landkreises arbeiten in der Schweinfurter Industrie und sind darauf angewiesen, dass der Standort sicher versorgt wird und wettbewerbsfähig bleibt. Auch die Bewohnerinnen und Bewohner unseres Landkreises nutzen die Leistungen der Rechenzentren und Internetknoten im Rhein-Main-Gebiet mit ihrem enormen Strombedarf. Man kann nicht Digitalisierung wollen und dann sagen: Der Strombedarf hat mit uns nichts zu tun. Und auch hier produzierter, zeitweise überschüssiger Strom wird über Leitungen abtransportiert in andere Regionen.

Unser Strombedarf vor Ort wird in den nächsten Jahren sogar noch deutlich zunehmen, auch wenn der Energiebedarf insgesamt sinkt: Durch den Wechsel von klimaschädlichem Treibstoff zum elektrischen Antrieb bei Autos und von klimaschädlichem Öl und Gas auf Wärmepumpen zum Heizen unserer Häuser. Pro Kopf wird der Bedarf sicher deutlich höher sein als in den Ballungsräumen. Deswegen brauchen wir weiterhin die Energiewende vor Ort – damit wir nicht noch mehr Leitungen bekommen, und damit die Wertschöpfung in unserer Region bleibt. 

Es trifft auch nicht zu, dass andere Bundesländer, etwa das benachbarte Hessen, das für eine Alternativführung immer wieder angeführt wird, ihre Leistungen nicht erbringen. Hessen hat nur ein Drittel der Landesfläche Bayerns, aber genauso viele Windräder. Und derzeit führt die einzige 380-kV-Leitung von Hessen nach Bayern genau über einen Umweg über Großkrotzenburg, um dann zurück nach Bayern den hiesigen Strombedarf zu decken. Schleswig-Holstein stellt auf seiner Fläche ein Vielfaches seines eigenen Bedarfs aus erneuerbaren Energien für andere Bundesländer bereit. Gleichzeitig wurden durch Schleswig-Holstein große Übertragungsleitungen gebaut, um den offshore (auf dem Meer) und in Dänemark erzeugten Windstrom in den Süden zu transportieren. Wir tragen die Verantwortung für die Energiewende also alle gemeinsam.

Dass es Proteste seitens der Bürgerinnen und Bürger gegen den Leitungsbau gibt, kann ich nachvollziehen. Ohne Frage ist die Natur im Saaletal und im Biosphärenreservat besonders schützenswert. Es ist gutes Recht und sogar die Pflicht der Kommunen und der Menschen vor Ort auf den besonderen Wert der Natur in unserer Region hinzuweisen. Das unterstütze ich ausdrücklich. Jeder Spielraum, muss genutzt werden, um die Leitung natur- und landschaftsverträglicher zu machen, sowohl beim Bau als auch im Betrieb. Das ist die Aufgabe des Planfeststellungsverfahrens. Da sind auch der Bayerische Ministerpräsidenten und sein Wirtschaftsminister in einer besonderen Verantwortung. Ich werde mit meinen Möglichkeiten dazu beitragen und habe diesen Punkt auch schon in die Gespräche mit Tennet eingebracht. Die Erdverkabelung kann gerade in wertvollen Naturräumen mit noch stärkeren Eingriffen verbunden als eine Freileitung. Die Fläche ist nicht mehr bewirtschaftbar, der Boden wird bei den Bauarbeiten stark verdichtet, die Schneise muss von Gehölzen freigehalten werden und die Leitung braucht zahlreiche Wartungszugänge. Die beste Lösung muss in Abhängigkeit der Gegebenheiten vor Ort im Planfeststellungsverfahren ermittelt werden.

Das Vorgehen einzelner Bürgermeister und des Landrats hat aber auch eine Kehrseite. Da wird Stimmung gemacht und es werden Hoffnungen geschürt, von denen ich annehmen muss, dass die Akteure überwiegend ganz genau wissen, dass sie sich nicht erfüllen lassen.  Der Region ist von CSU und SPD schon einmal versprochen worden, dass die P43 nicht kommt. Dann wurde sie doch bundespolitisch beschlossen, u.a. mit den Stimmen der CSU, also der der Partei des Landrats, der meisten Bürgermeister und der Mehrheitsfraktion im Kissinger Kreistag. Dazu muss man dann auch mal stehen. Die Region hat es nicht verdient, dass man noch einmal solche Hoffnungen schürt und dann zum zweiten Mal enttäuscht. Denn wenn die Trasse kommt, werden wir alle hier vor Ort die Umsetzung mitgestalten müssen. Gleichzeitig habe ich kaum einen derjenigen, die die Proteste als Amtsträger anführen, in den letzten Jahren beim Einsatz für erneuerbare Energien erlebt. Im Gegenteil: Im Kreistag und in vielen Stadt- und Gemeinderäten wird selbst die Ausnutzung der Dächer kommunaler Gebäude mit PV-Anlagen abgelehnt.

Wer sich aber heute weiter gegen Windenergie stemmt, sich nicht darum kümmert, dass die Freiflächen-PV-Anlagen bei uns vernünftig und im Einklang mit Natur und Landschaft geplant werden, der trägt die Verantwortung dafür, wenn irgendwann weitere Leitungen gefordert werden.